Warum Obligationen ein Schwerpunktbereich für ESG-Investitionen sind

Von Dario De Simio, CIIA, CAIA, Leiter State Street Global Advisors AG Schweiz & Leiter Institutionelle Kundengruppe

Über das Thema ESG-Strategien für Aktien ist viel geschrieben worden. Und das aus gutem Grund – Aktien sind eines der wichtigsten Finanzinstrumente, die Unternehmen und Anlegern zur Verfügung stehen; der weltweite öffentliche Aktienmarkt hat derzeit einen Wert von 101,2 Billionen US-Dollar. Aktien eignen sich auch gut für ESG-Investitionen, da den Anlegern zwei Arten von Instrumenten zur Verfügung stehen. Sie können nicht nur «mit den Füssen abstimmen», indem sie sich von Aktien trennen oder solche meiden, die nicht den bevorzugten Kriterien eines Anlegers entsprechen, sondern sie können auch buchstäblich über Vorschläge abstimmen.

Wenn man sich jedoch nur auf Aktien konzentriert, lässt man einen grossen Teil des Marktes ausser Acht. Die weltweit ausstehenden festverzinslichen Wertpapiere belaufen sich derzeit auf 129,8 Billionen Dollar. Und jedes Jahr werden festverzinsliche Wertpapiere im Wert von mehreren Billionen Dollar emittiert. 

Eine kürzlich veröffentlichte Studie einer renommierten Schweizer Beratungsunternehmung zum Schweizer Pensionskassenmarkt 2023 zeigt: Die wichtigsten Ansätze zur Integration von ESG-Zielen sind bei Schweizer Pensionskassen die Berücksichtigung dieser Ziele im Anlageprozess, gefolgt von negativen Screenings und Engagement. Es überrascht nicht, dass Aktien im Vergleich zu festverzinslichen Wertpapieren die erste Wahl waren.

Doch das ändert sich jetzt. Aus unseren Gesprächen mit institutionellen Anlegern in der Schweiz wissen wir, dass derzeit validiert wird, wie deren Nachhaltigkeitsziele in die verschiedenen festverzinslichen Portfolios integriert werden können – von Staatsanleihen bis hin zu Investment-Grade- und High-Yield-Unternehmensanleihen und darüber hinaus. 

Warum gerade jetzt?

Je stärker Anleger ihre Ziele über die traditionellen Portfoliokennzahlen hinaus neu definieren und die breiteren Auswirkungen ihrer Anlageentscheidungen berücksichtigen, desto wichtiger wird ESG. Das Gleichgewicht zwischen Rendite und Risiko bleibt eine wichtige Säule der institutionellen Anleger. Doch die Integration von ESG in ihre Portfolios sehen viele als Teil ihrer treuhänderischen Pflicht gegenüber den Anlegern, die sie vertreten. Diese Entwicklung wird von Regierungen, Regulierungsbehörden und politischen Entscheidungsträgern unterstützt – in der Schweiz unter anderem vom Bundesrat, dem Eidgenössischen Parlament und der FINMA sowie von verschiedenen angesehenen lokalen Branchenverbänden. 

Gleichzeitig sind die heute verfügbaren ESG-Daten sehr umfangreich und werden rasch weiterentwickelt. Während früher viele Datensätze vergangenheitsausgerichtet waren, gibt es heute eine ständig wachsende Zahl von Quellen und Anbietern, die sich zunehmend auf zukunftsgerichtete Klimarisiken (z. B. Bewertungen des impliziten Temperaturanstiegs) und physische Risiken konzentrieren, die auch Wirkungskennzahlen berücksichtigen (z. B. Schätzungen der Gigawatt an Strom aus erneuerbaren Energiequellen pro investiertem Franken). Diese Verfügbarkeit von Daten öffnet Anlegern eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten in der Portfoliogestaltung. Beispielsweise der Einsatz von Nachhaltigkeit-Risiko-Ratings, Gegenüberstellung von Unternehmen innerhalb eines Sektors, Kohlenstoffkennzahlen und Grenzwerte zur Bewertung der Beteiligung an kontroversen Branchen oder Praktiken und weitere sind zunehmend verfügbar – dies verändert die ESG-Landschaft für festverzinsliche Wertpapiere und damit die Neuausrichtung solcher Portfolios.

Wie ESG in festverzinslichen Wertpapieren umgesetzt wird

ESG in einem festverzinslichen Portfolio wird in erster Linie durch die Wertpapierauswahl bestimmt. Vereinfacht ausgedrückt würden Anleger, eher Anleihen von Emittenten kaufen, deren Aktivitäten den festgelegten ESG-Zielen des Anlegers entsprechen und wiederum weniger jener die weiter davon entfernt liegen. Anleiheinvestoren, die ein verantwortungsvolleres Verhalten eines Unternehmens oder einer Regierung fördern wollen, können (zusätzlich) auch grüne, soziale und nachhaltig gekennzeichnete Anleihen in ihre Allokation aufnehmen. 

Solche Anleihen sind mit einer klaren «Verwendungszusage» des Kreditnehmers verbunden, die ihn verpflichtet, die geliehenen Mittel für Projekte zu verwenden, die bestimmte ökologische, soziale oder nachhaltige Ziele verfolgen. Dies erleichtert es den Anlegern, Unternehmen auf der Grundlage ihrer künftigen Absichten und nicht auf der Grundlage ihrer bisherigen Nachhaltigkeitsbilanz zu identifizieren und zu finanzieren. Ab einer bestimmten Grössenordnung können die Kreditkosten für Unternehmen, die die Kriterien erfüllen, sinken, womit Anreize geschaffen werden, sich an die definierten Standards zu halten. 

 

 

Die wichtigsten Herausforderungen

Festverzinsliche Wertpapiere sind eine vielfältige und etwas fragmentierte Anlageklasse, die unter anderem Staatsanleihen, staatsbezogene Anleihen, Unternehmensanleihen und verbriefte Anleihen umfasst. Die richtige Umsetzung von ESG hängt hier stark von Transparenz und guten Daten ab. Wir möchten fünf zentrale Herausforderungen herausstreichen, die Anleger unserer Meinung nach berücksichtigen sollten:

  • Unternehmensanleihen börsenkotierter Unternehmen verfügen in der Regel über die umfassendste Datenabdeckung. Dies ermöglicht es Anlegern, im Rahmen der Investment-Grade Unternehmensanleiheallokation, relativ simpel Portfolioanpassungen im Sinne derer ESG-Ziele vorzunehmen. Wenn wir demgegenüber die Märkte für High-Yield-Anleihen setzen, gibt es dort einen höheren Anteil an privaten Schuldtiteln. Die Datenabdeckung in diesen Bereichen kann schlecht oder gar nicht vorhanden sein, so dass eine individuelle Entscheidung zur Handhabung dieser getroffen werden muss. 
  • Während es für Unternehmensinvestitionen einige allgemein anerkannte Ansätze für die ESG-Integration gibt, sind die Dinge bei der Allokation in Staatsanleihen eindeutig idiosynkratischer. Je nachdem, wo der Anleger seinen Fokus bei den drei Dimensionen E, S und G setzen will, kann das Endportfolio erheblich variieren (z.B. Ausschluss einzelner Länder, Berücksichtigung des Freedom House Index, Beurteilung der Öl/BIP-Abhängigkeit von Erdöl exportierenden Ländern usw.). 

  • Anleger sollten sich auch der möglichen Modellierungsannahmen und Einschränkungen in Bezug auf die Verfügbarkeit von ESG-Daten bewusst sein. Allgemeine ESG-Kennzahlen sind in der Regel für die meisten börsenkotierten Unternehmen verfügbar, die in irgendeiner Form ESG-Daten berichten. Aber Klimarisiko-Kennzahlen – wie z. B. Daten zu Kohlenstoffemissionen, physischen Risiken und Temperaturindikatoren – sind noch ein recht neues, wenn auch schnell wachsendes Segment.

  • Der Zyklus der Datenaktualisierung kann lang sein, unterliegt Verzögerungen und hängt in der Regel von den Berichtszyklen der Unternehmen ab (Jahresberichte, CSR- und Nachhaltigkeitsberichte).
     
  • Die meisten ESG-Indizes für festverzinsliche Wertpapiere basieren auf denselben ESG-Bewertungsrahmen und -methoden, die auch für die Erstellung von ESG-Aktienindizes verwendet werden. Die beiden Anlageklassen unterscheiden sich jedoch, und es gibt Raum für ESG-Rankings, die besser auf festverzinsliche Wertpapiere zugeschnitten sind. Grüne Anleihen beispielsweise finanzieren in der Regel spezifische Projekte, die Umweltziele wie die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an den Klimawandel verfolgen, selbst wenn das emittierende Unternehmen ansonsten für den Anleger nicht in Frage käme.

Was kommt als Nächstes?

Vorausgesetzt, das Interesse der Anleger an festverzinslichen Anlagestrategien mit ESG-Zielen bleibt hoch, steht eine kontinuierliche Entwicklung von Lösungsansätzen vor uns – und bei ausreichenden Investitionen und Nachfrage könnten auch die meisten der oben genannten Herausforderungen wohl gemeistert werden. Es ist auch davon auszugehen, dass der Umfang und die Qualität der verfügbaren Daten weiter zunehmen werden, so dass die Anleger ihre Portfolios noch detaillierter auf ihre Anlage- und Nachhaltigkeitspräferenzen abstimmen können. Ausserdem werden Anleger Wege identifizieren, Engagement auch im Rahmen festverzinslicher Anlagen vorzunehmen. 

Und da die ESG-Integration in unserer Umfrage unter 700 institutionellen Anlegern aus aller Welt im Jahr 2022 die höchste Priorität bei festverzinslichen Wertpapieren einnimmt, ist dies sicherlich ein Bereich, den man im Auge behalten sollte.




Wichtige Hinweise: Investitionen sind mit Risiken verbunden, einschliesslich des Risikos eines Kapitalverlusts. Die bereitgestellten Informationen stellen keine Anlageberatung dar. Die Renditen eines Wertpapierportfolios, das Unternehmen ausschliesst, die die festgelegten ESG-Kriterien des Portfolios nicht erfüllen, können hinter den Renditen eines Wertpapierportfolios zurückbleiben, das solche Unternehmen enthält. Die ESG-Kriterien eines Portfolios können dazu führen, dass das Portfolio in Industriesektoren oder Wertpapiere investiert, die sich schlechter entwickeln als der Gesamtmarkt. 

Die in diesem Material geäusserten Ansichten sind die Ansichten von Dario De Simio vom 17. Oktober 2023 und können sich aufgrund von Markt- und anderen Bedingungen ändern. Bestimmte Aussagen können als zukunftsorientiert angesehen werden und die tatsächlichen Ergebnisse oder Entwicklungen können erheblich von den prognostizierten abweichen. 

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