Anlage Aktuell: Nimmt der ESG-Appetit wieder zu?
Von Peter Bezak, Ökonom und Anlageexperte Zurich Invest AG
Während Jahren eilte die ESG-Bewegung von Erfolg zu Erfolg. Eine breite Anhängerschaft in vielen Unternehmen entwickelte eine Vielzahl von Management- und Anlagestrategien zur Förderung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Prioritäten. Doch im Jahr 2023 drohte die ESG-Bewegung ins Stocken zu geraten, da gleichzeitig die Renditen wie auch die Begeisterung bei Fonds und Anlegern zurückgingen und die Politisierung zunahm. Letztes Jahr habe ich über Diskurse berichtet, die dazu beigetragen haben, Kritik an ESG laut werden zu lassen. Nun gehe ich der Frage nach, was wir in Zukunft von ESG erwarten dürfen?
Der Aufschwung
Die ESG-Bewegung nahm im Jahr 2004 mit den Vereinten Nationen und ihrer Förderung der Bestrebungen wie die Beendigung von Armut, Hunger und Krieg sowie der Förderung eines «nachhaltigen» Lebens an Fahrt auf. Das Ziel bestand darin, die Bedürfnisse der heutigen Generation auf eine Art und Weise zu befriedigen, die dies auch künftigen Generationen noch ermöglichen soll. Ressourcen sollen also geschont und nicht einfach verschwendet werden.
Die Vereinten Nationen formulierten damit verbundene Management- und Investitionsprinzipien, die sich in drei Kategorien einteilen lassen: Im Bereich «Umwelt» sehen diese beispielsweise vor, den Klimawandel einzudämmen oder Wasserknappheit zu bekämpfen. Der Bereich «Soziales» bezweckt faire Arbeitsstandards und die Zufriedenheit von Kundinnen und Kunden und die Prinzipien im Bereich «Governance» sollen sicherstellen, dass die Unternehmensführung diese Ziele vorantreibt. Unternehmen und Investoren in Europa und den USA folgten dem Beispiel der Vereinten Nationen, indem sie beispielsweise ökologischere Produktionsmethoden entwickelten und ESG-Verpflichtungen in ihre Anlagestrategien einbezogen.
Die Bewegung gewann weiter an Dynamik und die ESG-Industrie ist heute ein solides Ökosystem, das von Menschen, Unternehmen, Koalitionen, Vermögensverwaltern, Anlegern und NGOs unterstützt wird. Noch während der Covid-Pandemie nahmen die Investitionen in Unternehmen mit einem hohen ESG-Bewusstsein stark zu. Die Investitionszuflüsse in ESG-Fonds waren laut Morningstar-Daten bei europäischen Anlegern am grössten, gefolgt von US-amerikanischen Investoren.
Der «Stillstand»
Seither ist das Interesse an ESG-Investitionen jedoch zurückgegangen. Einerseits stellten Studien den finanziellen Mehrwert von ESG-Investitionen in Frage. Andererseits wurden Fälle von Greenwashing publik, die grosse Zweifel an der ökologischen Effektivität streuten und die ESG-Bewegung zum «Stillstand» zu bringen drohten. Laut Morningstar erreichten die Nettoinvestitionszuflüsse in ESG-Fonds im ersten Quartal 2021 ihren Höchststand und gingen seither stetig zurück, bis es 2023 schliesslich zu Nettoinvestitionsabflüssen aus ESG-Fonds kam. Faktoren wie das makroökonomische Umfeld, hohe Zinssätze, Inflation, Rezessionssorgen in einigen grossen Volkswirtschaften der Welt sowie geopolitische Risiken waren weitere Gründe, warum das Interesse der Anleger nachliess.
Die Zukunft
Wie geht es mit ESG weiter? Die Glaubwürdigkeit der Bewegung hängt davon ab, ob sie die aktuellen Probleme bewältigen kann. Regulierungsbehörden und Verbände können Übertreibungen und Fehlverhalten eindämmen, indem sie konkrete Empfehlungen und Standards setzen. Das prinzipielle Interesse der Investoren an nachhaltigen Anlagen dürfte aufgrund der grossen Aufmerksamkeit für den Klimawandel weiterhin bestehen. Gelingt es der ESG-Bewegung, wieder glaubhaft für ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu stehen, dürften sich voraussichtlich auch die Investitionszuflüsse wieder zunehmen.