Kleine Brötchen am Emissionsmarkt
Rupert Pretterklieber: Wie hat sich das Emissionsgeschäft am Schweizer Kapitalmarkt 2023 entwickelt?
Stefan Bösl: Sehr gut. Das Emissionsvolumen hat 2023 – exklusive der Anleihen der Eidgenossenschaft – ein Rekordhoch von 71 Milliarden Franken erreicht. Auch das ausstehende Anleihevolumen am Kapitalmarkt, das Ende November bei über 613 Milliarden Franken lag, dürfte ein Rekordvolumen erreicht haben.
Was sind die Gründe?
Haupttreiber hierfür ist zum einen die gestiegene Nachfrage nach der Anlageklasse Anleihen. Zum anderen waren die Zinscoupons wieder so hoch, dass sie von Anlegern als Alternative zu anderen Anlagen wie Aktien oder Immobilien betrachtet wurden. Zudem ist der Auslandsanteil am Gesamtmarkt deutlich gestiegen.
Was heisst das?
2022 betrug der Anteil ausländischer Schuldner am Franken Kapitalmarkt im Gesamtmarkt 27 Prozent und stieg 2023 auf 37 Prozent. Das Wachstum dürfte anhalten, so dass der Anteil künftig wieder näher bei 50 Prozent liegen dürfte – so wie es vor den Negativzinsen war.
Können Sie dies erläutern?
Während der Negativzinsen war es für ausländische Schuldner günstiger, sich in ihrer Heimwährung zu refinanzieren als in Franken. Zudem war es wegen der Finanzkrise vor allem für ausländische Schuldner aus dem Finanzbereich, die jahrelang den Grossteil des ausländischen Emissionsgeschäfts ausgemacht hatten, grundsätzlich schwieriger geworden, Kapital aufzunehmen.
Und dies hat sich geändert?
Ja. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Europäische Zentralbank im Zuge der strafferen Geldpolitik in sehr geringem Umfang Anleihen am Euromarkt kauft. Dadurch wurde eine Finanzierung für ausländische Emittenten in Euro teurer als in Franken. Zudem haben sich die für das Emissionsgeschäft wichtigen Konditionen am Swapmarkt zugunsten des Frankens verändert.
Wo ist der Anteil ausländischer Emittenten am besten sichtbar? Vor allem bei den Volumina im Bereich der ESG-Anleihen. Hier haben 2023 ausländische Emittenten 65 Prozent des Emissionsvolumens bestritten. 2022 waren es 53 Prozent. Vor allem Südkorea zeichnete sich durch einen vergleichsweise hohen Anteil von 17 Prozent aus nach 13 Prozent im Jahr zuvor.
Wie sieht es im aktuellen Jahr aus?
Das Wachstum bei ESG-Anleihen dürfte 2024 anhalten. Im Segment der Pfandbriefe und Covered Bonds erwarten wir aufgrund der unterschiedlichen Zinssituation zwischen Euro und Franken, dass das Angebot aus dem Ausland eine mögliche Angebotslücke im Inland mehr als kompensieren wird. Dieses Angebot könnte sich aber preistreibend auf den Pfandbriefmarkt auswirken und zu einer Spreadausweitung in diesem Segment führen. Das heisst, Emittenten müssen den Investoren höhere Risikozuschläge bieten.
Wie sieht die Nachfrage aus?
Wir sehen derzeit bei den Anlegern wieder die Angst, etwas zu verpassen. Sie wollen auf den Zug aufspringen und die höheren Coupons anbinden. Daher gehen wir davon aus, dass die Investorennachfrage in den ersten Monaten 2024 gut sein wird.
Und die zweite Jahreshälfte?
Sie ist in der Regel schwächer als die erste. Zudem dürften 2024 die Wahlen ins EU-Parlament und die US-Präsidentenwahlen für Volatilität sorgen. Das könnte bei den Emittenten dazu führen, dass sie Finanzierungen ins erste Semester vorziehen.
Könnten Leitzinssenkungen die Anleger vergraulen?
Bei signifikant tieferen Coupons könnte es durchaus sein, dass insgesamt kleinere Brötchen gebacken werden als in den Vorjahren.