Vorsprung nicht verschlafen
Von Susanne Kapfinger, Ökonomin und Redaktionsleiterin AWP Soziale Sicherheit
Neue Technologien sind im Aufwind. Sie sind umweltfreundlich, sie setzen auf KI und sie befinden sich in der Phase der Skalierung. Viele klassische Technologien hingegen verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Dieser Strukturwandel vollzieht sich in hohem Tempo und Vermögensverwalter tun gut daran, den Anschluss nicht zu verpassen, indem sie auf die falschen Pferde setzen – zum Beispiel auf Technologien mit baldigem Ablaufdatum. Denn das kostet Rendite.
Neues Bauen und Fahren
Die hohe Kadenz, mit der neue Technologien Marktreife erlangen, kommt nicht von ungefähr. Probleme wie Energie und Klima, die nach Lösungen schreien, kombiniert mit den Möglichkeiten der Digitalisierung haben weltweit eine Fortschrittslawine ausgelöst. Die Empa beispielsweise könnte bald die Baubranche verändern. Sie hat Recycling-Beton karbonisiert und gegenüber der herkömmlichen Betonproduktion 9 Prozent weniger CO2 frei gesetzt. Ausserdem erhöht die Methode die Druckfestigkeit des Betons, womit sich bis zu sieben Prozent Zement einsparen lassen.
Nicht nur in den Labors wird vorwärts gemacht, sondern auch in den Gesetzesstuben. Da wird der rechtliche Rahmen der neuen Welt geschaffen. Der Bundesrat hat kürzlich zwei Verordnungen in die Vernehmlassung geschickt, die den gesetzlichen Rahmen für die KI-Anwendung «automatisiertes Fahren» regeln. Das ist gut, weil autonome Fahrzeuge höhere Sicherheit und einen effizienteren Verkehrsfluss versprechen. Sie sind besser für die Umwelt.
Uruguay hat die Nase vorn
Veraltete Technologien werden überall abgelöst, doch nirgends geschieht das so deutlich wie im Energiebereich. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) sind in Bezug auf die Energieumwandlung von natürlichen Ressourcen in nutzbare Energie erneuerbare Energiequellen effizienter als Öl, Kohle oder Gas. Einige Länder haben den Vorteil erkannt und ihre Energieproduktion umgestellt: Uruguays Energiebedarf ist bereits zu 98 Prozent mit Erneuerbaren gedeckt.
Je schneller Länder und Unternehmen ihre veralteten Technologien durch effizientere ersetzen, desto grösser die Einsparungen. Einerseits werden Produktionskosten gesenkt. Andererseits winken Absatzsteigerungen, weil Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend umweltbewusst einkaufen. Dazu ein Beispiel aus der Lebensmittelbranche: Detailhändler wie Aldi Suisse, Migros oder Lidl haben verstärkt in vegane Alternativprodukte investiert. Damit sind die hauseigenen pflanzlichen Ersatzprodukte teils günstiger geworden als das tierische Original. Die neuen Preisgefüge werden auch die Absatzmärkte verändern.
Wer wird die Letzte sein?
Viele Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht: Sie haben die dringende Notwendigkeit eines Strukturwandels erkannt und in den letzten Jahren Reserven aufgebaut. Laut einer Umfrage der Europäischen Investitionsbank EIB hat sich dadurch der Anteil der EU-Firmen, die 2022 Investitionen getätigt haben, erhöht. Die EIB ist eines der grössten Finanzierungsinstitute für den Klimaschutz weltweit.
Das macht es für Investoren zunehmend gefährlich, an Firmen beteiligt zu sein, die den technologischen Wendepunkt verschlafen. Ein guter Gradmesser um zukunftsfähige Firmen zu erkennen ist, wenn die Unternehmensführung die Umwelt und das soziale Gleichgewicht in die Strategie eingebunden hat. Immerhin haben laut EIB bereits 36 Prozent der europäischen Firmen in Massnahmen investiert, um widerstandsfähiger gegen Klimawandelrisiken zu sein. Dies zeigt aber auch, dass viele Firmen noch sehr risikoanfällig sind. Dass einige davon den technologischen Wendepunkt nicht schaffen und Pleite gehen, ist höchst wahrscheinlich. Die Aktien und Obligationen solcher Firmen müssten dann abgeschrieben werden. Besser ist, in Vorsprung-Firmen anzulegen als Abschreiber zu riskieren.