Automatisierung als Segen?

Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit

Wir leben länger und gesünder. Das ist gut. Sorge bereitet nur, dass die Sozialversicherungssysteme darunter leiden: Die Bevölkerungsalterung gefährdet die Finanzierung der AHV und treibt die Krankenkassenprämien in die Höhe. Aber auch die Wirtschaft leidet: Den Unternehmen fehlen zunehmend Arbeitskräfte. Die Alterung beeinflusst die Zahl der Erwerbstätigen und die Zinsen negativ. Das ist ein Problem, da der drastische Rückgang der langfristigen Zinsen seit den 19990er-Jahren den Druck auf die berufliche Vorsorge erhöht hat.

 

Roboter stützen Wachstum

Neben den negativen Auswirkungen, gibt es auch positive Effekte: Als Reaktion auf den Arbeitskräftemangel investieren Unternehmen vermehrt in die Automatisierung ihrer Arbeitsprozesse. Dies kann die negativen Effekte des Alterns auf das Wachstum teilweise kompensieren.  Zu diesem Ergebnis kommt die länderübergreifende Studie der Universität Gent «Demographic change, secular stagnation and inequality: automation as a blessing?». 

 

Anreize gehen verloren

Die Automatisierung kann also die Wirtschaftsleistung alternder Volkswirtschaften verbessern. Das ist jedoch ein zweischneidiges Schwert: Während der relative Mangel an menschlicher Arbeitskraft verringert wird, verändern sich auch die Anreize für die Unternehmen. Ihr Interesse sinkt in Humankapital zu investieren oder ältere Arbeitskräfte weiter zu beschäftigen. 

 

Gräben vertiefen sich

Automatisierung hat das Potenzial Ungleichheiten zu vergrössern und Gräben aufzureissen. Das hat zwei Gründe: Erstens erhöht die Automatisierung den Kapitalanteil am Volkseinkommen und verringert den Arbeitsanteil. Mit anderen Worten begünstigt es die Kapitalbesitzer gegenüber den Erwerbstätigen. Zweitens ist Automatisierung ein Faktor, der die Lohnschere zwischen bildungsarmen und hoch qualifizierten Personen vergrössert. Beides verstärkt die Wohlfahrtsungleichheit. Investitionen in Robotik, KI oder computergestützte Maschinen sind willkommen. Sie können die negativen Folgen des Alterns begrenzen. Allerdings ist Augenmass gefragt. Die Auswirkung der Technologie auf die Gesellschaft ist disruptiv und unerwünscht. Es wird Korrekturen brauchen. Das heisst: Es braucht Mechanismen, welche die Einnahmen von den Gewinnern zu den Verlierern der Automatisierung  umverteilen. Es ist eine politische Herausforderung, die Gesellschaft für Automatisierung zu gewinnen. 

 

Kräfteverschiebung ausgleichen

Eine Lösung erfordert steuerliche Massnahmen. Die Kräfteverschiebung  von Arbeit zu Kapital sollte über das Steuersystem ausbalanciert werden: Die Steuersätze auf Arbeitseinkommen sollten gesenkt werden und jene auf Kapitaleinkünfte angehoben werden. So lässt sich der Staatshaushaushalt wieder ins Gleichgewicht bringen. Ebenso sind öffentliche Investitionen in Bildung und den sozialen Ausgleich ein entscheidender Faktor, um die Kluft zwischen Personen mit unterschiedlichen angeborenen und erlernten Fähigkeiten zu verringern. 

 

Korrekturen nötig

Mit dem aktuellen Stand der Automatisierungstechnik lässt sich die Lücke im Arbeitsmarkt noch nicht vollständig schliessen. Es braucht weiteren Fortschritt. Mit genügendem politischem Willen kann die Automatisierungsreise zum Wohle aller fortgesetzt werden. Die Empirie zeigt: Automatisierung hat positive Effekte, indem sie die Produktivität steigert. Jetzt gilt es vorausschauend die negativen Folgen zu verhindern.