Auf dem Pannenstreifen

Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit

Die AHV steht in den kommenden Jahren um bis zu 14 Milliarden Franken besser da als prognostiziert. Das ist ein Grund zum Jubeln. Doch statt Freudenschreie, erschüttert ein Aufschrei der Entrüstung das Land. Denn das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat sich gravierend verrechnet. Das ist nicht nur peinlich, sondern stellt auch die Glaubwürdigkeit des Chefs des BSV und der Sozialministerin in Frage. Das Polit-Drama hat schlimme Konsequenzen: Es könnte die Reform AHV 21 für ungültig erklären und die Notwendigkeit einer BVG-Reform in Frage stellen.

 

Falsche Fakten

Eine Beschwerde der Grünen Partei und der SP Frauen Schweiz liegt auf dem Tisch: Angesichts der falschen Finanzprognosen soll die Abstimmung von 2022 über die Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre (AHV 21) wiederholt werden. Eine Wiederholung könnte die AHV 21 auf den Schredderhaufen bringen. Da die damalige Vorlage nur von einer hauchdünnen Mehrheit von 50,5 Prozent angenommen wurde. 

 

Das Polit-Gerangel könnte aber auch die BVG-Reform auf den Scheiterhaufen bringen. Die Menschen sind verärgert. Der Stimmungsumschwung wird in den Umfragen zur BVG-Reform deutlich: Kurz nach Bekanntgabe des BSV-Rechenfehlers hätten 59 Prozent – also eine grosse Mehrheit der Befragten – die Reform bachab geschickt (Tamedia-Umfrage). In einer kurz zuvor durchgeführten SRG-Umfrage stellte das Nein-Lager mit 39 Prozent noch eine Minderheit dar. Die grossen Unterschiede zwischen den Umfragen zeugen von einem Vertrauensbruch – die Bevölkerung mistraut der Politik nach dem Debakel. 

 

Vertrauen braucht Zeit

Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider bemüht sich das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen: Nach Abschluss einer Administrativuntersuchung wird die Bundesrätin aufzeigen, wie es zu dem Irrtum kommen konnte, und schliesst personelle Konsequenzen nicht aus. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen bis Ende Jahr vorliegen.

 

Die Vorgänge im BSV will auch die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates unter die Lupe nehmen. Das kündigte deren Präsident, der jurassische Mitte-Politiker Charles Juillard, an.

 

Dem BSV-Chef, Stéphane Rossini, droht nach dem Berechnungsfehler zudem die Versetzung. Er könnte bei künftigen Diskussionen nicht mehr ernst genommen werden, so die Befürchtung im Eidgenössischen Departement des Innern.

 

Es fehlen fünf Milliarden pro Jahr

Das Debakel hat, wie alles, nebst einer schlechten auch eine gute Seite. In diesem Fall positiv ist, dass die AHV-Ausgaben 2033 rund vier Milliarden Franken oder rund sechs Prozent tiefer ausfallen als bisher berechnet. Infolge bleibt das Umlageergebnis in 2024 und 2025 positiv. Ab 2026 wird die AHV nach der Einführung der 13. AHV-Rente rote Zahlen schreiben. Die Defizite werden aber geringer ausfallen als bisher erwartet. 

 

Nach den neuen Berechnungen liegen 2026 die Kosten der 13. Altersrente bei rund 4,2 Milliarden Franken und 2030 bei knapp 5 Milliarden Franken pro Jahr. Der Bundesrat schlägt dafür eine Finanzierung über höhere Mehrwertsteuern vor. Gleichzeitig will er den Bundesbeitrag zur AHV senken. 

 

Die Vorlage stösst bei vielen Parteien und Verbänden auf Kritik. Während SP und Grüne den Bundesbeitrag beibehalten und Lohnbeiträge erhöhen wollen, lehnen SVP, FDP und GLP eine reine Finanzierungsvorlage ab. Sie pochen auf eine strukturelle Sanierung. Und das Volk? Es macht keine grossen Sprünge – dazu fehlt das Vertrauen in die Politik.