Asset mit sozialem Sprengstoff
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Das Bevölkerungswachstum fiel 2023 mit 1,7 Prozent so markant aus wie noch nie seit Ende der 1960er Jahren. Haupttreiber dafür sind Einwanderungen. Die Behörden registrierten 263 100 Zugewanderte, wobei das Wanderungssaldo mit 139 100 Personen das höchste ist, das je gemessen wurde. Die Zugezogenen helfen zahlreiche neue Stellen zu besetzen. Allein 2022 wurden laut Unternehmensstatistik über 143 000 beziehungsweise 2,6 Prozent mehr Arbeitsplätze verzeichnet als 2021. Der Wachstumstrend setzt sich auch im 2. Quartal 2024 fort: Die Erwerbstätigenzahl stieg gegenüber dem Vorjahresquartal um 0,5 Prozent.
Heisslaufender Wohnmarkt
Mehr Menschen brauchen mehr Wohnungen. Neubauten werden aber in unzureichender Anzahl bereitgestellt, was zu Wohnungsknappheit führt. Als Folge steigen die Mietpreise, insbesondere für Neumieterinnen und -mieter. Bei bestehenden Mietverhältnissen, können die Mieten durch gesetzliche Schranken nur begrenzt angehoben werden. Dies führt zu einer wachsenden Kluft zwischen den Preisen auf dem freien Markt und den bestehenden Mietverträgen. Wer in dieser Konstellation die Wohnung wechselt hat das Nachsehen.
Im Juli kletterten die Angebotsmieten für neue und wieder zu vermietende Wohnungen im Vergleich zum Vorjahr gemessen am Homegate-Index um 5,2 Prozent – in einigen Kantonen waren es fast 10 Prozent. Die Bauindustrie begründet den Wohnungsmangel mit komplexen Bewilligungsverfahren. Bund, Kantone und Gemeinden erkennen das Problem und wollen mit einem Aktionsplan die Prozesse effizienter gestalten. Gleichzeitig fordern sie aber auch mehr preisgünstige Wohnungen.
Aufkommender Aktionismus
Die Wohnungsnot führt zu viel politischem Aktionismus. So kommt beispielsweise die Stadtzürcher Initiative «Mehr Wohnraum durch Aufstockung» an die Urne. FDP, GLP, SVP und Mitte wollen mit ihrer kommunalen Initiative dem Stimmvolk eine Idee unterbreiten, die im Stadtparlament keine Mehrheit fand: Bestehende Gebäude sollen in Zukunft unkompliziert um ein Stockwerk erhöht werden können.
Auch der Mieterinnen- und Mieterverband (MV) hat eine Volksinitiative lanciert – und zwar gegen zu hohe Mieten. Die Initiative will das Prinzip der Kostenmiete verankern und Marktelemente aus dem Mietrecht verbannen. Zudem sieht sie eine automatische Mietzinskontrolle vor. Vermietern soll es künftig nicht mehr möglich sein, die Mieten mit Verweis auf die Orts- oder Quartierüblichkeit zu erhöhen. Das Gegenteil will der Hauseigentümerverband: Er will die Anfechtung der Anfangsmiete erschweren und Mieterhöhungen aufgrund von Orts- und Quartierüblichkeiten vereinfachen. Dazu sind bereits zwei Vorlagen im Parlament aufgegleist.
Sozialpolitischer Zündstoff
Die Vorstösse zeigen: In Wohnimmobilien steckt viel sozialpolitischer Zündstoff. Für Immobilieninvestoren erhöhen sich dadurch regulatorische Risiken und diese sind kaum kontrollierbar. Beeinflussbar dagegen sind Ertragsrisiken. Stabile Mieterträge erzielt man beispielsweise durch eine gut durchmischte Mieterschaft: Es zahlt sich aus Liegenschaften sozial nachhaltige zu bewirtschaften.
Bis die Wohnungsnot gelöst ist, werden mindestens drei weitere Akteure Anpassungen vornehmen: Erstens werden Arbeitnehmer längere Pendeldistanzen in Kauf nehmen und die Zahl der Grenzgänger nimmt zu. Zweitens werden Arbeitgeber mehr tun müssen, um erschwinglichen Wohnraum für ausländische Mitarbeitende zu finden. Drittens wird der Staat wegen der höheren Mietkosten höhere Ausgaben für die Sozialpolitik schultern müssen. Er könnte dadurch versucht sein, Ausgaben durch steigende Immobilien- und Grundstücksteuern zu decken.